VALIE EXPORT


1940*

VALIE EXPORT (geb. 1940) ist eine zeitgenössische, österreichische Künstlerin, die immer wieder für Aufsehen sorgt mit ihren feministischen Performances, Aktionen und Filmen.



Lebenslauf

VALIE EXPORT wurde 1940 in Linz als Waltraud Lehner geboren und wuchs mit zwei älteren Schwestern und ihrer verwitweten Mutter auf. Schon als Kind rebellierte EXPORT gegen die Dominanz ihrer Mutter und vor allem ihrer Schwestern und suchte die Konfrontation mit ihnen.1

1955 bis 1958 machte sie eine Ausbildung zur Handweberin, und wurde noch als Schülerin schwanger. So heiratete sie den Vater des Kindes, von dem sie sich aber 2 Jahre später bereits wieder scheiden liess, weil sie «nicht Hausfrau werden wollte».1 So verliess sie Linz und ging nach Wien an die Kunstgewerbeschule. 1967 erfand sie ihren Künstlerinnennamen, weil sie weder den Namen ihres Vaters noch den ihres Exmannes tragen wollte und nannte sich fortan VALIE EXPORT, mit der Auflage, den Namen in Versalien zu schreiben.2 VALIE, weil dies ihr Spitzname war, und EXPORT abgeleitet von «Smart Export», der Zigaretten-Marke, die sie rauchte und auch, weil «sie rauswollte».1

In Wien kam sie in den Kreis der Wiener Aktionist:innen, zu engeren Zusammenarbeiten kam es mit der von Männern dominierten Gruppe aber nicht, da VALIE EXPORT deren Frauenbild ablehnte.3

Nach dem Studienabschluss in Wien widmet sich EXPORT der Filmbranche und gründete 1968 die Austrian Filmmakers Cooperative, um eigene Filme produzieren und vertreiben zu können.3 Ihr Schaffen ist sehr breit angelegt, sie macht Dokumentarfilme, Body Performances, Fotografien, Skulpturen, Spielfilme und ist auch im Bereich des Expanded Cinema tätig, im «erweiterten Kino», teilweise ganz ohne Leinwände und vielmehr performativer Natur. 1970 wurde sie aufgrund der Publikation «Bildkompendium Wiener Aktionismus und Film» wegen Pornografie angezeigt und verlor das Sorgerecht für ihre Tochter.3
VALIE EXPORT gilt als Pionierin des feministischen Aktionismus, sie thematisiert in ihren Werken unermüdlich die Rolle von Geschlecht, Geschlechterhierarchien und Machtverhältnissen. Oder wie sie selber sagt: «Kunst kann gesellschaftliche, politische Wahrnehmungen durch ihren Ausdruck sensibilisieren. Das ist ihre eigentliche Aufgabe.»1

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Werk

Das Tapp und Tastkino von VALIE EXPORT wurde 1968 erstmals aufgeführt und gilt heute als Werk der feministischen Avantgarde.5 Für die Performance hat EXPORT eine aus Styropor gebaute Kiste an der Vorderseite ihres Oberkörpers angebracht. Die Kiste verfügte über ein Loch, durch das man ihre nackten Brüste anfassen konnte, vor dem jedoch ein Vorhang hing. Der nackte Oberkörper war also nicht zu sehen, nur zu ertasten. Mit einem Megafon forderte sie im urbanen Raum das Publikum dazu auf, mit den Händen in diesen Theaterraum zu dringen, in dem ihre Brüste verborgen waren. 33 Sekunden lang stoppte sie die Zeit für jede Person, die durch das Loch ihre Brüste berührte. Während die Zuschauer:innen EXPORTS Körper anfassten, bestand durchgehend Augenkontakt zwischen der interagierenden Person und der Künstlerin. Der voyeuristische Blick, also die Lust am heimlichen Beobachten, der laut VALIE EXPORT typisch ist für vor allem männliche Kinobesucher, erlebt in der Performance eine Umkehrung. Er sieht die Brüste nicht, fasst sie nur an, währenddessen wird er aber wiederum von einem Publikum beobachtet. EXPORT sagte in einem Interview, dass die Brutalität dieser Exhibition ein wirksames Mittel gegen den Voyeurismus sei.4 EXPORT selbst wird in ihrem Werk sowohl zur Statue als auch zur Hauptdarstellerin und Regisseurin in einem Film, in dem sie ihre Privatsphäre veröffentlicht.4, 5

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Historischer Kontext

70er Jahre – «Neue Frauenbewegung»

Die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts sind geprägt von feministischen Ideen, die auf den Einzug von Frauen in den Arbeitsmarkt und in die Hochschulen aufbauen. In den USA entsteht im Zusammenhang mit den Student:innenbewegungen das Women’s Liberation Movement, und in Europa als Pendant dazu die Neue Frauenbewegung, deren inhaltlichen Kämpfe sich stark an Simone de Beauvoirs Buch «Le deuxième sexe» von 1949 orientieren. Die Erkenntnis, dass der Mann die Norm darstellt, während die Frau als das «Andere» degradiert wird und sich an der männlichen Norm zu messen hat, ist die eine grosse Schlussfolgerung Beauvoirs. Eine andere besagt, dass Weiblichkeit keine angeborene Wesensqualität, sondern eine sozialisierte, angelernte, historische Konstruktion ist. Dass es also zwei Geschlechter gibt, im Englischen «sex», das angeborene Geschlecht, und «gender», das sozialisierte Geschlecht. Dass Frauen Kinder bekommen, liegt am Geschlecht (sex), dass sie sie grossziehen aber an der Geschlechterrolle (gender). Im Gegensatz zu vorherigen Frauenbewegungen fokussiert jene der 70er Jahre erstmals nicht auf rechtliche Anliegen, sondern auf die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau. Folglich verbreitet sich in feministischen Kreisen die Haltung, dass es für eine real gleichberechtigte Gesellschaft grundlegende Veränderungen in den Bewusstseins- und Verhaltensweisen der Menschen braucht.
Der Slogan zur Bewegung war: «Das Private ist politisch!» Die systematische Unterscheidung zwischen Öffentlichkeit als Verkörperung des Sozialen, Gesellschaftlichen und Männlichen, und dem Privaten, als Sinnbild für Rückzug vor Staat und Politik, dem Weiblichen, wird entlarvt. Was ins Private gedrängt wurde, also Liebe, Beziehungen, Kinder, Haushalt, Sexualität, wird von der feministischen Bewegung in den öffentlichen Fokus gerückt und systematisch beleuchtet. Auf der Suche nach den Ursprüngen dieser Ungleichheiten und Diskriminierungen entsteht die feministische Patriarchatskritik.
Die Neue Frauenbewegung löst sich von linken Theoriebewegungen und parteipolitischen Bindungen ab und betont ihre eigene organisatorische Autonomie: Es entstehen Frauenhäuser, Frauenclubs, Frauenzeitschriften, Frauenkneipen, Frauengesundheitszentren, und somit eine weibliche Kultur und Politik, die sozialisierte männliche Werte ablehnt wie beispielsweise Machoismus, Lautstärke, Raumeinnahme, und eigene Werte wie Solidarität, Loyalität, Feinheit, Emotionalität feiert.6

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Kunst

In Anlehnung dieser feministischen Bewegungen entwickelt sich auch in der Kunst eine feministische Strömung. Linda Nochlin war eine feministische Kunsthistorikerin des 20. Jahrhunderts, in ihrer bekanntesten Schrift «Why Have There Been No Great Women Artists?» setzte sich mit den fehlenden Frauen in der Kunstgeschichte auseinander: Sie begründete die fehlenden Frauen mit sozialen, institutionellen und ideologischen Gründen. Beispielsweise konnte eine Frau durch das Führen eines Haushaltes gehindert sein, ihre künstlerische Tätigkeit zu vertiefen, oder ihr blieb die Ausbildung an einer Kunststätte verwehrt. Hinzu kommt, dass es die Künstlerinnen nicht nicht gegeben hat, sondern dass bislang vor allem Männer in der Forschung und Geschichtsschreibung tätig waren, die die Frauen und weiblichen Perspektiven vernachlässigten. Viele Theorien über weibliche Ästhetik entstehen und Kritik am vermittelten Frauenbild in der Kunst wird lauter.
Die Feministische Kunst der 70er Jahre thematisiert vorwiegend weibliche Erfahrungen und macht sich die noch verhältnismässig unbesetzten Medien zu eigen wie Performance, Film und Fotografie. Viele der Künstlerinnen fokussieren auf ihren eigenen Körper als Erfahrungsraum, Body-Art genannt, und thematisieren Sexualität als stellvertretender Akteur für gesellschaftliche Unterdrückungen, Forderungen, Erwartungen und im Gegensatz dazu die gewünschte Selbstbestimmung.6

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Weiterführende Literatur

1 https://web.archive.org/web/20190605092517/http://www.thomastrenkler.at/interviews/valie-export-ich-wollte-raus/, 29.4.2021.

2 https://www.valieexport.at/jart/prj3/valie_export_web/main.jart?rel=de&content-id=1526555819857&reserve-mode=active, 29.4.2021.

3 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Valie_Export#tab=Personendaten, 29.4.2021.

4 https://www.valieexport.at/jart/prj3/valie_export_web/main.jart?rel=de&reserve-mode=active&content-id=1526555820281&tt_news_id=1956, 29.4.2021.

5 Gabriele Schor (Hrsg.), Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er Jahre aus der SAMMLUNG VERBUND Wien, München: Prestel Verlag 2015, S. 168-69.

6 Schneider Beat, Penthesilea. Die andere Kultur- und Kunstgeschichte, Sozialgeschichtlich und patriarchatskritisch, Bern: Zytglogge Verlag 1999, S. 418-431.

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Tapp und Tastkino, 1968. Video: Digibeta PAL, S/W, Ton, 1:08 Min, Filmstills.
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