Artemisia Gentileschi


1593-1654

Artemisia Gentileschi (1593-1654) war eine der bedeutendsten italienischen Malerinnen des Barockzeitalters. In ihren Werken beschäftigte sie sich hauptsächlich mit biblischen Szenen und Allegorien.



Lebenslauf

Artemisia Gentileschi wurde am 8. Juli 1593 in Rom geboren. Sie lernte in der Werkstatt ihres Vaters ihr Handwerk. Ihre ersten Bilder malte sie mit 17 Jahren. Für diese Zeit unüblich, widmete sich Gentileschi in ihren Bildern biblischen und mythologischen Szenen. Frauen malten damals nämlich hauptsächlich Stilleben oder allenfalls Portraits.

1612 wurde sie durch ihren Lehrer vergewaltigt, was zu einem öffentlichen Prozess führte. Sie wurde bei den Befragungen gefoltert und musste Rom schliesslich wegen ihrem geschädigten Ruf verlassen.

Artemisia heiratete zur Wiederherstellung ihres Rufes einen Maler und zog nach Florenz, wo sie als erste Frau an der Accademia del Disegno studierte.

Dank ihrem Ruhm kehrte sie 1623 zurück nach Rom und hatte nach 1630 in Neapel ihre eigene Werkstatt.

1637 wurde sie an den englischen Königshof abgeworben, wo sie das Deckengemälde des Queen’s House in Greenwich mitgestaltete.

Nach dem Auftrag kehrte Gentileschi nach Neapel zurück. In ihren letzten Jahren litt sie unter gesundheitlichen sowie finanziellen Schwierigkeiten und starb schliesslich am 31. Januar 1654.1

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Werk

Das Werk Judith enthauptet Holofernes malte Artemisia Gentileschi um 1620 in Florenz. Das Gemälde wurde mit Öl auf Leinwand gemalt und hat die Masse 199 x 162.5 cm. Es befindet sich heute im Vasarikorridor in den Uffizien in Florenz.

Das Werk stellt den Tötungsakt in der biblischen Geschichte von Judith und Holofernes dar. Judith entschliesst sich dazu, die belagerte Stadt Bethulia zu retten. Der betrunkene Feldhauptmann Holofernes war von ihrer Schönheit entzückt und bat Judith in sein Schlafgemach. Dort schnitt sie seinen Kopf ab, steckte ihn in einen Sack und hängte diesen an der Stadtmauer auf.  Judith befreite durch den Mord an Holofernes ihr Volk vor dem Tyrannen und gehört dadurch zu den biblischen Heldinnen, die Artemisia ein Leben lang beschäftigten.2

Dieses Motiv malte die Künstlerin mehrere Male, wovon heute noch drei Varianten vorhanden sind. Es ist einfach, die Geschichte der Judith mit dem Trauma von Gentileschi in Verbindung zu bringen, doch würde diese Reduktion der Künstlerin nicht gerecht werden.

Die brutale und ausdruckstarke Darstellung der alttestamentlichen Szene bildet Judith, im Gegensatz zu anderen Zeitgenoss*innen, nicht passiv oder unbeteiligt, sondern voller Entschlossenheit handelnd ab. Artemisia schafft es, in ihren Bildern mitzudenken und sich in die Situation einzufühlen. So hilft die Magd Holofernes herunterzudrücken, weil Judith es kaum alleine geschafft hätte, statt, wie es im Alten Testament geschrieben steht, nur wache zu stehen.3

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Historischer Kontext

Das Barockzeitalter

Die Zeit zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert war in Europa sowohl vom Absolutismus wie von grossen Widersprüchen zwischen Nationalstaaten, gesellschaftlichen Schichten und in religiösen Fragen geprägt. Durch die Religionskriege des 16. Jahrhunderts wurden die bestehenden Machtverhältnisse in der gesellschaftlichen Ordnung stark erschüttert. Das aufgeklärte Bürger:innentum wurde stärker, der Adel beharrte jedoch auf seinen Privilegien und setzte alles daran, diese zu demonstrieren und die Macht an sich zu reissen. Damals wurde man in einen Stand hineingeboren und musste die Gesetze und Grenzen ihrer Gruppe einhalten. Die König:innen begründeten ihre höhere Stellung dadurch, von Gott auserwählt zu sein, so galten keinerlei Gesetze für sie. Sie kontrollierten auch die Mehrheit der Wirtschaft. Dabei orientierte sich diese absolutistischen Monarchien in Europa an der Diktatur des römischen Kaisertums der Spätzeit.

Die Repräsentation von Machtinhaber:innen war eines der wichtigsten Mittel ihrer Propaganda. Die pompöse Selbstdarstellung spielte eine zentrale Rolle am Hofe. Diese Darstellungen hatten aber meistens eher wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Die Auftraggeber:innen waren geistlich oder adelig, doch verfolgten sie das gleiche Ziel: die Welt von ihren Vorstellungen zu umgeben. Dafür eigneten sich Allegorien, also bildliche Darstellungen von abstrakten Konzepten, Ideen oder Begriffen, bestens. Für die Verbildlichung wurden primär Frauen verwendet, nicht als Verkörperung ihrer Selbst, sondern als reines Konzept. Sie werden nicht beim Namen genannt, sondern stehen für eine Idee, zum Beispiel für die Gerechtigkeit oder die Liebe. Auch in anderen Kunstwerken wird die Frau als Objekt abgebildet, ist gleichermassen Sinnbild für sexuelle Interessen wie für sexuelle Ängste.

In der nicht-adeligen Welt war die Frau nicht bessergestellt. Die weniger privilegierten Frauen waren Billigarbeitskräfte in Fabriken, andere arbeiteten als Prostituierte. Die Hausfrauen hatten es auch nicht viel besser, die «erzieherische» Gewalttätigkeit durch den Ehemann wurde in vielen philosophischen Schriften im 17. Jahrhundert legitimiert und als förderlich bewertet. Frauen wurden als passive Objekte angesehen, die stets vom Mann geformt werden konnten und ihm gehorsam sein mussten. Die grosse Mehrheit der Frauen wurde von dem beruflichen und öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie hatten weder in religiösen Handlungen ein Mitspracherecht noch in der Politik oder in ihrem eigenen Leben. In Schriften, wie dem 1618 in deutscher Sprache erschienenen Traktat «Ob die Weiber Menschen seyn oder nicht?», diskutierte man darüber, ob eine Frau überhaupt ein Mensch sei, oder doch nur eine Missgeburt oder ein Monster. Die im 15. Jahrhundert beginnenden Hexenverfolgungen, die auf einem ähnlichen Bild basierten, zogen sich bis in das späte 18. Jahrhundert hinein und forderten zahlreiche Frauenleben.4

Wie die Frauen muss auch die Natur in ihre Schranken gewiesen werden, so war die Haltung in der neuzeitlichen Wissenschaftsentwicklung. Auch die Wissenschaft war stark patriarchal geprägt: über die Natur soll geherrscht werden, Mann soll in sie eindringen und ihre Geheimnisse entreissen. Wissenschaft, wie wir sie heute kennen, entstand in diesem patriarchalen Kontext, die neuen Wissenschaftspraktiken aus dem 17. Und 18. Jahrhundert bildeten die Grundlagen für spätere Entwicklungen wie jene der Aufklärung, aber auch für heutige Standards.4

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Barock

Die Kunstströmung in dieser Zeit wird als Barock bezeichnet und war richtungsweisend zwischen 1600 und ca. 1750. Das Wort leitet sich aus dem portugiesischen «barocco» ab und meint unregelmässige Perle. Die Kunst dieser Zeit agierte vorwiegend als katholische Propaganda, mit ihrer Verbreitung auch in protestantischen Kreisen reduzierten sich die religiösen Bildinhalte, die Dramatik und Theatralik, Prunk und überschwängliche Gefühle zeichneten die Barock-Kunst jedoch allerorts aus.5 Dies zeigt sich beispielsweise in starken Licht-Kontrasten, in leuchtenden Farben, in der Bewegtheit der Bilder, und dies alles unter der Prämisse von sehr ausgeprägtem Naturalismus, also möglichst lebensechten Darstellungen.4 Die Kunst des Barocks wehrt sich gegen die in der Renaissance geltenden Ideologien wie der Geometrisierung oder den Rationalismus, bedient sich aber weitgehend an Allegorien: Hinweise, Anspielungen und die mit denen einhergehende Mehrdeutigkeit sind Merkmale der barocken Kunst.4

Das Ende des Barocks, etwa zwischen 1720 und 1780, nennt sich Rokoko, und setzt weniger auf das Exzessive wie noch der Barock, und mehr auf fliessende Konturen und Naturelemente, Liebe, Schönheit und Unbeschwertheit wurden gefeiert, auch in der Kunst. Der Rokoko entwickelte sich ursprünglich als Innenarchitektur-Stil, er entsteht als Dekorations-Stil der höfischen Gesellschaft, breitete sich dann aber auf die Architektur und später auch auf die Malerei und Bildhauerei aus.6 Jedoch schlossen die Kunstakademien dieser Zeit Frauen aus, weshalb die meisten von ihnen, wenn überhaupt, innerfamiliär unterrichtet wurden.5

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Weiterführende Literatur

1 Frigeri Flavia, Frauen in der Kunst, Zürich: Midas Verlag 2019, S. 26-27.

2 Keller Hiltgart L., Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten, Ditzingen: Reclam 2010, S. 353-354.

https://www.youtube.com/watch?v=cNsg6RnlJtI&ab_channel=TheNationalGallery, 13.03.2021.

4 Schneider Beat, Penthesilea. Die andere Kultur- und Kunstgeschichte, Sozialgeschichtlich und patriarchatskritisch, Bern: Zytglogge Verlag 1999, S. 247-255.

5 Hodge Susie, Die Künstlerinnen. Werke aus fünf Jahrhunderten, Berlin: Laurence King Verlag 2020. 15.

6 Hodge Susie, Die Künstlerinnen. Werke aus fünf Jahrhunderten, Berlin: Laurence King Verlag 2020. 16.

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Judith enthauptet Holofernes, 1620, Öl auf Leinwand, 199 x 162.5 cm
Copyright holder © Galerie Uffizi, Florenz.